Kürzlich saß ich in einer Runde mit Kolleginnen und Kollegen aus der Filmbranche, und das Thema unseres Gesprächs kam darauf, warum sich die deutsche TV-Welt so schwer damit tut, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und ehrgeizige Stoffe umzusetzen. Ausnahmen bestätigen die sprichwörtliche Regel, aber dass sie Ausnahmen sind, zeigt schon das Problem:

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Für drei dieser willkürlich genannten vier Serien aus Deutschland musste Netflix auf den Plan treten. Und die einzige ö/r-Serie musste ihre Qualität mit einem sehr kleinen Budget unter Beweis stellen. Ein Kollege in unserer Runde warf die Frage auf, ob und welche Serienstoffe man denn schon mal gepitcht hätte, die in diese Auflistung passen würde, und wir machten uns den Spaß daraus, allen, die es wollten, fünf Minuten für einen Elevator Pitch zu geben, um den Rest der Versammlung zu überzeugen, für die jeweilige Serienidee „grünes Licht“ zu geben.

Was soll ich sagen — bei sieben vorgestellten Stoffen hätte ich vier Mal ja gesagt. Ich war verblüfft, aber fühlte mich gleichzeitig bestätigt: an Ideen mangelt es nicht in Deutschland. Am Mut zur Umsetzung leider nach wie vor oft genug. Ob der fehlende Erfolg der Ideen daran liegt, dass die Pitcher vielleicht nicht gut genug verdrahtet waren, nicht die richtigen Ansprechpartner*innen gefunden hatten oder ihre Vorstellungen einer Kompensation utopisch waren, das weiß ich nicht. Ein befreundeter Filmproduzent vertritt die These, dass die Tatsache, dass die Produzenten einerseits keine Repertoirebibliotheken an Rechten aufbauen können und andererseits die Stoffentwicklung auch von Drehbuchförderungen oder Redaktionen finanzieren ließen, sie mutlos und defensiv gemacht habe. Nicht die Produzenten entscheideten, was umgesetzt werden wird, sondern die Redaktionen. Da ist vielleicht was dran.

Liegt es vielleicht auch am Publikum? Ist es zu konservativ? Ist es zu wenig an modernes Geschichtenerzählen gewöhnt, als dass es dieses genießen könnte?

Um diese Fragen soll es mir heute nicht (direkt) gehen. Als ich 2006 mit meinem Cousin Jochim die Firma INTERPLANAR gründete, um die Produktion eines Hörspiels auf Grundlage der Mark-Brandis-Reihe zu stemmen, war uns klar, dass das Kulissenbauen bei einem Hörspiel eben deutlich günstiger und weniger zeitaufwendig ist im Vergleich zu einer Verfilmung. Für letztere braucht man Millionen, für ein Hörspiel dieser Größenordnung kann man fünfstellig bleiben. So entstanden 23 Brandis-Episoden auf insges. 32 CDs.

Ausschnitt aus der englischsprachigen Outline für den MB-Film

Ausschnitt aus der englischsprachigen Outline für einen MB-Film

Erst als ich 2015 zusammen mit einem Kölner Filmproduzenten daran ging, auszuloten, unter welchen Umständen denn ein Mark-Brandis-Film entstehen könnte, drängte sich mir eine zweite Wahrheit auf: die Not der Filmemacher, im Vorfeld die Integrität der Aussage des Stoffes zu erhalten.
Alle, die in die finanzielle Verantwortung eines Films einsteigen, wollen mitreden. Nicht selten muss der Produzent dabei liebgewordene Inhalte preisgeben, die Aussage verändern, umschreiben, neue Hauptpersonen hinzufügen oder vermeintlich überflüssige streichen. Dass Brandis in den Büchern (und Hörspielen) ein Astronaut mit der Heimatstadt Berlin ist, wäre bei der Verfilmung früher oder später zugunsten einer angelsächsischen Herkunft gestrichen worden. Alle politischen kontroversen Aussagen kamen auf den Prüfstand. Um einer chinesischen Ko-Finanzierung willen stieg in der Entwicklung des Drehbuchs der „koreanische Leutnant“ aus „Unternehmen Delphin“ als MIN JIE zur zweiten Hauptfigur der ganzen Story auf (siehe Textauszug).

Solche Kompromisse musste ich bei der Umsetzung der Brandis-Hörspiele nicht eingehen. Brandis-Buchautor von Michalewskys Maxime

Beim Hörspiel bin ich der Koch, und der Brei hat Geschmack. Beim Fernsehen gibt es zu viele Mitköche, die den Brei verderben

stellte sich als zutreffend heraus: als Geschichtenerzähler kann man im Hörspiel viel klarer einem Kurs folgen, da es nicht erforderlich ist, einer größeren Zahl potenziell widersprüchlicher Interessen entsprechen zu müssen.

Ist daraufhin das Hörspiel das bessere Medium, um szenische Geschichten zu erzählen?

Einerseits ja.
Das Szenische — was das Ambiente angeht und die Qualität der Dialoge — ist besser umzusetzen als in der Romanform. Erstklassige Sprecherinnen und Sprecher, oft mit Schauspielhintergrund und -erfahrung, lassen sich gerne für das Hörspiel engagieren. Ihre Qualität gibt Szenen im Hörspiel eine vielschichtige Qualität, die (bis auf das fehlende optische Element) potenziell der eines Filmes nicht nachsteht. Mehr noch: die Vorstellungskraft der Hörer wird mehr eingebunden als beim bewegten Bild.

Ein Beispiel — dieses sechseinhalbminütige Gespräch aus der zweiten Episode von „Der Thron der Nibelungen“ zwischen Hagen und König Gibica, das viel Exposition enthält, vibriert vor Spannung, weil die beiden Sprecher (Patrick Winczewski als Gibica und Sascha Rothermund als Hagen) es mit persönlicher Relevanz aufladen:


Ein Film hätte mit der Herausforderung zu kämpfen, über diese lange Zeit genügend interessante Bilder zu finden. Die Konzentration auf den Ton löst dieses Problem.

Andererseits nein. Ungesagtes ist im Hörspiel nur schwer umzusetzen: Blickwechsel, Reaktionen, alles Kinetische (Actionszenen, Sinnlichkeit). Der Satz „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ ist leider nur zu wahr, und je weniger Geduld das Publikum mitbringt, desto mehr gilt, dass jeder Trailer für einen Film mehr Interesse weckt als einer, der nur auf Audio baut. Trotz weiter steigender Nutzungszahlen für Audio-Inhalte schenkt das Feuilleton dem sog. „kommerziellen Hörspiel“ im Gegensatz zum Radio-Hörspiel weiterhin keine Beachtung. Dass das Nibelungen-Hörspiel in der Wormser Zeitung besprochen wurde, liegt daran, dass ich versucht hatte, beim proaktiven Anruf bei der Redaktion den Lokalbezug Worms->Nibelungen zu nutzen, und — vielleicht mehr noch — dass die Redakteurin zufällig in meinem ehemaligen Heimatort ihr Büro hat.

Trotzdem hege ich die Hoffnung, dass sich das in naher Zukunft ändert: der Sprung vom Hörspiel zum Film ist oft leichter als der vom Buch zum Film, da das Hörspiel der szenischen Natur eher entspricht. Einer Redaktion einen Audiolink zu schicken hält die Schwelle niedriger als ein angeliefertes 50seitiges Exposé.

Haben Sie einen Stoff, der vor Spannung vibriert, lebendige Charaktere und grundsätzliche Konflikte beinhaltet und den irgendwie noch keine Redaktion als verfilmungswürdig erkannt hat? Vielleicht ist der (Um-)Weg zum Hörspiel der Richtige?