Vielleicht ist es der heutige Karfreitag als Kulminationspunkt … die letzten Monate habe ich intensiv an einer zehnteiligen Audio-Serie geschrieben, die in einer Zukunft spielt, die durch die Corona-Pandemie plötzlich nicht mehr so fiktional wirkt wie zur (Wieder-)Entstehung der Idee dazu im Herbst 2019. Und vielleicht sind es deswegen so existentialistische Gedanken, die ich aufschreiben will.

Bin nur ich das, oder wirken die Stille da draußen, die menschenleeren Straßen, die sich etwas erholende Natur auf andere auch so wie Vorboten einer sehr nahen Zukunft? Ich kann den Gedanken nicht abschütteln, dass wir als Menschheit nicht nur einfach vor einem weiteren Wendepunkt in unserer nur wenige Jahrtausende umfassenden bewussten Geschichte stehen. Warum? Am Karfreitag haben wir den Anlass, an den Tod des Christus zu denken, dessen Botschaft Douglas Adams salopp mit „one man had been nailed to a tree for saying how great it would be to be nice to people for a change“ zusammengefasst hatte. Über 2000 Jahre später sind wir auf diesem Weg nicht wirklich grundlegend voran gekommen. Ganz zu schweigen von der Idee, dass die Erde nicht einfach zum Ausbeuten da sei, sondern wir als eine der intelligenten Spezies auf dem Planeten eine Verantwortung hätten, sie zu erhalten; und sei es nur, damit unsere eigenen Nachkommen auch noch eine Überlebensgrundlage vorfinden würden. Nein, die Impulse in die richtigen Richtungen (Friedensbewegung in den 1980ern, das Ende des Kalten Krieges in den 90ern, die Klimaschutzbewegung 2.0 nach dem Vorbild der Greta Thunberg) wurden bisher jedes Mal von Interessens- und Lobbypolitik großer Industriekomplexe (Landwirtschaft, Militär), populistisch-separatischen Parteien (z.B. Polen, Ungarn), egozentrischen Staatsführern (Trump, Putin, Bolsonaro) und insbesondere vom steigenden Konsumbedarf des Menschen und seinem „im Zweifelsfall ich“-Denken in ihrer Wirkung aufgehoben.

Es sind letztendlich die Basisgesetze der Physik, die uns eine Grenze setzen. In einem geschlossenen System kann nicht ewig entnommen werden, irgendwann ist es überlastet, und es funktioniert nicht mehr. Die Chance, unsere Energieversorgung auf nachhaltige Systeme (eigentlich gibt’s da nur eins, nämlich die Sonne) umzustellen, haben wir bisher immer verstreichen lassen, bzw. sie halbherzig umgesetzt. Das Plastikdilemma in den Ozeanen, drastisch beschrieben im Buch „Die Welt ohne uns“, ist ja wirklich nichts Neues; auch die Folgen sind keine Überraschung. Trotzdem: kein Handeln. Dass es dem Menschen möglich ist, zu handeln, sieht man an der Coronakrise — sowie eine existenzielle Bedrohung erkannt ist, beugt sich der Mensch auch drastischeren Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit, insbesondere der Mobilität. Unser Weltwirtschaftssystem knirscht, und es gibt genügend Propheten, die jetzt eine nachhaltige Rezession voraussagen. Mir sagt die Krise lediglich, dass ein System, das durch eine solche Herausforderung derart an seine Grenzen gerät, ohnehin nicht das Richtige ist, um uns in die Zukunft zu führen.

Wird alles wieder auf „normal“ zurückfahren, wenn es vorbei ist? Wird der Lockruf der Firmen, die den Umsatz brauchen, wieder unreflektiert Gehör finden? Werden zumindest die Erfahrungen, die viele Arbeitnehmer zum ersten Mal machen, nämlich das Arbeiten von zuhause aus, zukünftige Arbeitsbedingungen verändern? Oder wird, wie im umstrittenen Kress-Artikel von Matthias Horx, sogar ein systemveränderndes Umdenken einsetzen? Reden wir dann doch einmal über eine Welt ohne Wachstum, und dass sie nicht unbedingt den Untergang bedeutet?

Das „dominium terrae“ ist immer noch in unseren Köpfen. Schaffen wir die steile Lernkurve, die es zur noch rechtzeitigen Überwindung dieser Fehlübersetzung jetzt braucht? Warum positionieren sich die Kirchen nicht entschiedener in dieser Frage? Mein Patenonkel Matthias Kroeger, ein streitbarer Theologieprofessor, fordert ein Umdenken der Kirchen seit Jahrzehnten; nicht zuletzt deswegen, weil die Botschaft des Christus an Aktualität nichts eingebüßt habe — sie sei nur nie richtig verstanden und im System der Kirchen umgesetzt worden. Will die Kirche ihre einzigartige Position als Gegengewicht zu weltlichen Autoritäten und ihren wechselhaften Prioritäten nicht verlieren, müsse sie diese Position auch nutzen. Dazu gehört Mut.

Wenn wir diesen Mut nicht aufbringen, wird das (oder Ähnliches), was ich gerade geschrieben habe (und das im Herbst auf den Markt kommen soll) nicht Fiktion bleiben. Und dieser Gedanke bedrückt mich mehr, als ich dachte.

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