Szenenfoto

Teil 1 verpasst? / Teil 2 verpasst?

Heute vor 30 Jahren setzte ich meinen Fuß wieder auf europäischen Boden. In meinem großen Koffer, sorgfältig eingepackt in röntgensichere Folie, befanden sich zwischen Kleidung und eingekauften CDs fünf 16mm-Filmrollen entwickeltes, aber ungeschnittenes Negativ, jede Menge Souvenirs aus New York wie Rechnungen von Kopierwerken und Tonstudios, ein schwarzes Jackett, einige SF-Bücher aus Forbidden Planet und vor allem Schulden. Der Dreh des Abschlussfilms hatte mich 26jährigen Studenten tief in die roten Zahlen getrieben. Ich wusste, dass ich meinem Vater bald Rechenschaft ablegen musste, was und warum ich da getan hatte, und das hieß, ich musste schnell einen Job neben dem Studium finden.

Eine gute Woche nach meiner Ankunft aus New York bekam ich eine Karte meiner Hauptdarstellerin, die zur Vorstellung der Abschlussfilme in Robert de Niros Kino im Tribeca Center (!) gegangen war und mir berichten wollte, wie es gelaufen war:

Wieder in die Welt eines Theaterwissenschaftstudenten zurück zu finden, fiel mir schwer. Die Vorbereitungen für die Zwischenprüfung standen bevor, und wenn das stimmte, was mir Absolventen erzählt hatten, schafften es überhaupt nur ein Drittel, sich auf diesem Weg für das Hauptstudium zu qualifizieren.

Ich setzte auf meine Fähigkeit der Verdrängung und kümmerte mich neben dem schuldenreduzierenden Nebenjob darum, den Film irgendwo „unterzubekommen“. Das ging natürlich erst, nachdem ich

  • den Filmnegativschnitt abgeschlossen hatte (danke, Ilona Demuth)
  • die finale Mischung bei ARRI abgeschlossen (in Rekordzeit von 4 Stunden zusammen mit Tschangis Charokh) und die Festivalkopie gezogen war
  • mich um die Titelsequenz und den Abspann gekümmert hatte, damit diese etwas professioneller aussahen

Und hier ist der Film in seiner Endfassung (Tap oder Klick öffnet den Film):

Ich schickte „Redemption“ zu Festivals, TV-Sendern mit Kurzfilmslots und Zeitschriften. Es gab eine Menge Rückschläge — im Vergleich zu europäischen Studentenfilmen, die in der Regel auf deutlich üppigere Ressourcen beim Dreh (wie z.B. „funktionierende Dollies“, aber das wäre eine andere Geschichte) zurückgreifen können, sah mein Film zu wenig spektakulär aus. Dazu kam, dass der vorläufig noch nicht untertitelte Film gute Englischkenntnisse voraussetzte.

Aber immerhin — „Redemption“ lief auf mehreren Low-Budget-Festivals, wurde u.a. in „Splatting Image“ besprochen, ich wurde zum Münchener Lokalsender M1 eingeladen und live interviewt, und nicht zuletzt half mir der Film und das ganze selbst-finanzierte Abenteuer dabei, 1996 doch noch den Sprung auf eine Filmhochschule zu schaffen.

Und zwei Jahre nach meinem Studienende hatte mir mein Vater den Rest der dann noch angeschriebenen Schulden erlassen.

Was sehe ich rückblickend als die wesentlichen Erfahrungen?

Ich kannte sie damals zwar noch nicht, aber unbewusst war ich mit meinem Sprung nach New York der „Bill-Drummond-Forderung“ gefolgt.

Was ist das?

Einer der zwei Masterminds der Band KLF hatte (paraphrasiert) allen, die unbedingt ein Ziel erreichen wollen, empfohlen, es einfach zu machen — und nicht darauf zu warten, bis man ein Diplom geschafft oder Anerkennung von Autoritäten, der eigenen Freundin oder von Kollegen bekommen habe. Jeder Tag sei ein verlorener Tag, an dem man es nicht voranbrächte. Los, ins kalte Wasser springen, es einfach machen! Man solle damit rechnen, böse auf die Nase zu fallen, aber die Erfahrung sei es wert — WENN man das eigene Ziel wirklich wolle.

If you want to do something, really want to do something, don’t wait to be asked, don’t seek permission. Don’t put it off until you’ve passed the right exams or pay or saved up enough money. But be prepared to risk complete failure. Don’t give a sh*t about whatever your mates, or your girlfriend or boyfriend think. Whatever it is: start now. Today! Tomorrow is always too late.

Die NYC-Erfahrung hat mir an dieser Stelle den Kopf freigeräumt.

  • Als mein Cousin und ich 2006 vor der Frage standen, ob wir ohne Interessensbekundung eines Labels 10.000 Euro unseres eigenen Geldes in eine Hörspielproduktion stecken wollten, obwohl wir sowas noch nie vorher professionell gemacht hatten, haben wir es einfach gemacht. 18 Jahre später konnten wir unsere 50. Hörspielproduktion feiern.
  • Als ich 2007 gefragt wurde, ob ich ein Drehbuch auf der Grundlage eines grauenhaften Kriegstagebuchs schreiben wolle, habe ich es einfach gemacht. Als kurz darauf die Produzenten einen Moodfilm zur Akquise von Geldern drehen wollten und mich um ein Skript baten, das in 10 Minuten sowohl eine eigene Geschichte erzählen als auch den Zuschauern zeigen sollte, dass die Aufgabe „zeigt den Krieg an der Ostfront“ jenseits von Joseph Vilsmaier oder Jean-Jacques Annaud umsetzbar war, habe ich es geschrieben. Der Film wurde gedreht und lief auf über 30 internationalen Festivals. Dass es den Hauptfilm (bisher) nicht gibt, ist bedauerlich. Das Skript wäre also noch erhältlich und verfilmbar.
  • Als ich nach meiner Scheidung 2009 vor der Frage stand, ob ich wirklich noch unter Schock und ohne verlässliche Verdienstmöglichkeiten nach Berlin gehen solle, habe ich es einfach gemacht. Kaum war ich dort, öffneten sich für mich neue Türen.

Es muss ein Sprung mit Risiko sein, es muss ins Ungewisse gehen, es darf keinen „einfachen Weg zurück“ geben, der einem hilft, alles ungeschehen zu machen, wenn man an unvermeidliche Schwierigkeiten gerät. Ich kann nur sagen, dann hat sich in meinem Leben dieser Sprung jedes Mal gelohnt. Oft war er erfolgreich, weil die Götter nun einmal die gerne belohnen, die ihr Herz in die Hand nehmen. Aber nicht immer war er erfolgreich, ich bin auch auf die Nase gefallen — und trotzdem hat es sich gelohnt. Weil die Erfahrungen mich um Quantensprünge weiter gebracht haben.

Wenn Sie über einen großen Traum nachdenken und schon länger an der Klippe stehen und abwägen … prüfen Sie Ihr Herz. Wollen Sie es wirklich? Und wenn ja, tun Sie es. Wenn es etwas mit einem Skript zu tun hat, helfe ich gerne dabei.

Schließlich hat sich niemand auf dem Totenbett jemals gewünscht, er oder sie wäre doch lieber weniger mutig gewesen.

Gebt es weiter -- das Beste im Netz!