Balthasar wartet auf den Kameramann

Teil 1 verpasst?

Anzeige in

Anzeige in „Backstage“ Ende September ’94

Das war die Anzeige, die in „Backstage“, damals noch eine wöchentlich erscheinende Print-Zeitung, zu lesen war. Ich hatte es nicht geglaubt, als die Tutoren der NYFA es mir versprochen hatten, aber innerhalb der folgenden Woche erhielt ich trotz des „no pay“ tatsächlich Dutzende Zuschriften von professionellen Schauspieler/innen, die sich auf die Anzeige bewarben. Für jede Rolle konnte ich tatsächlich aus mehreren Möglichkeiten auswählen und zum Vorsprechen einladen!

Warum sie das machten … wollten sie Projekte für ihr Reel? Wollten sie Erfahrungen sammeln, oder immer den Eindruck vermitteln, beschäftigt zu sein? Ich weiß es nicht. Jede/r vom Fach weiß, daß es schwerlich eine härtere Prüfung als den New Yorker »Markt« gibt. Die Energie und das Selbstbewußtsein, die diese Menschen durch Bewerbungen und viele Ablehnungen tragen, bewundere ich vorbehaltlos.

In einem Seminarraum der Academy durfte ich nach Ende der Studientages Bewerberinnen und Bewerber „empfangen“; hinter mir eine ausgeliehene Hi-8-Kamera auf einem Stativ. Am Ende des Castings hatte ich meinen „Peter“, aber war unschlüssig, was die weibliche Hauptrolle „Karen“ anging. Mehrere Kandidatinnen schienen mir denkbar. Daraufhin hatte ich mir am Abend am TV das Tape vom Casting nochmal angesehen — und dabei fiel mir eine Sache auf, die mir vorher entgangen war:

Eine der Bewerberinnen hatte, während sie mir am Tisch gegenüber saß, mitten während unseres Gesprächs zwei Mal ihren Look verändert. War sie zuerst mit Pferdeschwanz und Lederjacke zu sehen, änderte sie ihre Erscheinung, indem sie kurz darauf mit offenem Haar und T-Shirt, dann mit hochgesteckter Frisur und einem Pullover über den Schultern in die Kamera sprach. Und die ganze Zeit dabei beantwortete sie meine Fragen, erzählte Anekdoten und veränderte dabei subtil auch mit dem „Kostüm“ ihre Persona. Sie konnte ja nicht wissen, welchen Typ genau ich suchte. So konnte sie, ganz nebenbei, ihre Wandelbarkeit zeigen.

Alexas Castingfoto

Alexas Castingfoto

Das beeindruckte mich. Dass Alexa zufälligerweise ursprünglich auch aus Deutschland nach New York gekommen war, war ein zusätzlicher Bonus. Ihr Englisch war perfekt. Sie bekam die Rolle.

Auf die Anzeige hatte mir auch ein Kameramann geantwortet; ich suchte ihn drei Wochen vor Drehbeginn in seiner Wohnung auf. Richard E. Brooks hatte einen beeindruckenden Lebenslauf – u.a. hatte er mit Robert Redford [als 2nd Unit-Kameramann bei Great Gatsby], Jacqueline Bisset, Lynn Redgrave, Ellen Barkin und Susan Sarandon, und für die Band Queen und Rocky-Regisseur John Avildsen gedreht. Und natürlich war er viel zu teuer.

Ich war sehr ehrgeizig, was diesen Film anging, denn ich wollte ihn auf Festivals zeigen können. In erster Linie hieß das für mich, den Film statt auf Umkehrfilm auf Negativfilm zu drehen, um davon qualitativ höherwertige Kopien ziehen zu können. Für Dreharbeiten mit dieser deutlich teureren Methode vertraute ich den Kameramann-Fähigkeiten meiner Mitstudenten nicht genug. Deswegen setzte ich in den Wochen vor Dreh meine Verhandlungen mit Dick Brooks fort, und es gelang mir, ihn auf 2/3 seiner ursprünglichen Forderung herunterzuhandeln.

Jetzt muss ich wohl, wenn ich ehrlich sein will, auf den weniger nostalgisch-großartigen Teil dieser Erinnerung zu sprechen kommen.

Woher hatte ich das Geld?

Meine Logik damals sah wie folgt aus:

Wenn ich New York ohne einen abgedrehten und vorführfähigen Abschlussfilm verlasse, werde ich auf absehbare Zeit nicht das Geld haben, um ihn fertig zu stellen. Wenn ich ihn nicht nach qualitativen Mindestkriterien anfertige, die europäische Filmfestivals fordern (und das schloss Umkehrfilm aus), brauche ich ihn nicht zu drehen, denn darum geht es: ich will mir meine Karriere damit aufbauen.
Wirklich ärgerlich, dass ich der Behauptung der NYFA geglaubt hatte, mit dem Equipment der Schule an der Hand bräuchte ich nur für Verpflegung und Filmmaterial zu sorgen, um einen Zehnminüter drehen zu können, und müsste nur etwa $1000.- investieren. Alles in allem wird es wohl das Zehnfache. Einen Teil des Darlehens aus Deutschland brauchte ich für Unterkunft und Verpflegung. Um den Film zu drehen, muss ich also mehr Schulden machen.

Dieser Logik folgend überzog ich die Amex, die mir mein Vater als Notfallkarte hatte ausstellen lassen: über sie kaufte ich das Filmmaterial, bezahlte Catering, Filmlocation, Taxis und später noch das Studio, in dem ich den gesamten Film mit den Schauspielern nachsynchronisieren ließ. In meiner Konzentration auf das Hier-Und-Jetzt schob ich es immer weiter heraus, meinem Vater eine Vorwarnung zu geben. Ich dachte (sicher nicht zu Unrecht), dass er mir das Überziehen der Karte wohl verboten hätte. Als er es schließlich anhand des Kontostatements der Amex ein paar Tage früher erfuhr, als ich gerechnet hatte, war es zu spät. Selbstverständlich war er stinksauer, und ich habe danach zwei Jahre lang jeden Monat DM500.- dazu verdienen müssen, um irgendwann wieder schuldenfrei zu sein. Stolz bin ich nicht auf mich, was das angeht. Gerade auch im Rückblick.

Aber zurück zum Dreh — in den Monaten vor dem Trip nach New York hatte ich die Rechte zu einer SF-Kurzgeschichte, die mir geeignet schien, erworben und sie zum Skript umgeschrieben. Nach langen Konsultationen mit meinen Tutoren kürzte ich nochmal kräftig und hatte kurz vor Drehbeginn ein Skript, das sich vielleicht in den zwei Tagen Drehzeit, die ich hatte, umsetzen ließe:

Das Drehbuch (PDF)

Da ich auch unbedingt mit einer eigenen Filmmusik aufwarten wollte, hatte ich meinen Cousin und späteren Partner in der INTERPLANAR, den Tonmeister, Produzenten und Komponisten (und Vangelis-Fan) Jochim Redeker, gebeten, ob er mir auf das Skript eine Musik schreiben könnte. Das hatte er getan und sie mir nach New York mitgegeben. Damit hatte ich nicht nur ein wichtiges Gestaltungselement für die Wirkung des Films an der Hand, sondern wusste auch, dass ich den fertiggestellten Film vorführen durfte, ohne später nochmal GEMA-Genehmigungen einzuholen. Wie unten zu lesen, war ich später beim Schnitt erstaunt, wie gut die Musik passte. Auch 30 Jahre später nochmal: danke, Jochim!


Und dann war es soweit. Ein Apartment anmieten, Equipment und Licht abholen, Verpflegung sicherstellen, und Dispos schreiben (siehe rechts).

Meine Notizen an den zwei Drehtagen, die ich hatte, waren hastig und kurz:

24.10.94, 6 a.m.
Gestern habe ich erfahren, daß die Lichtfirma mir den Sonder-Studententarif nur gibt, wenn ich Cash bezahle. Der Tarif für Normalsterbliche (per Kreditkarte) ist unbezahlbar, also darf ich heute morgen noch das komplette Lichtset organisieren. Die veranschlagte Zeit für den Drehbeginn heute (9 a.m.) kann ich mir wohl abschminken…

11 a.m.
800 Dollar bin ich für das Licht losgeworden. Puh! Ich muß ja schon zufrieden sein, wenn Murphy mich nur einmal so heimsucht: immerhin können wir jetzt drehen… 60 Dollar gingen heute allein für’s Frühstücksbuffet drauf. Es ist grundsätzlich alles doppelt so teuer wie geplant.

10.30 p.m.
Erster Drehtag vorbei. Habe am Anfang unheimlich Schwierigkeiten mit Dick gehabt; er scheint einer von den Kameraleuten zu sein, denen man jeden Shot bis ins Detail vorschreiben muß – nach den Maßgaben arbeitet er dann recht effizient. Habe natürlich keine Ahnung, ob die Bilder »geworden« sind. Dem Himmel sei Dank, dass alle wirklich wichtigen Szenen erst morgen dran sind. Alexa und Michael sind unglaublich kooperativ und talentiert. Puh, habe ich da Glück – und vielleicht ein bißchen richtige Intuition – gehabt. Ich werde jetzt noch etwas vorbereiten, wahrscheinlich um 2 ins Bett kommen und morgen um 6 wieder auf der Matte sein…

26.10.94 6 a.m.
Heute darf kein Fehler passieren. Von den fünf 4oo-Fuß-Rollen haben wir erst 1½ abgedreht, und die Titelsequenzen sind da schon mit drin! Ich muß die Szene in der Küche wohl opfern: schwer und nur sehr zeitaufwendig auszuleuchten und nicht essentiell wichtig.

1 p.m.
Sie sind gerade zum Essen weg. Alexa hat für heute eine Aufnahmeleiterin organisiert, die sie kennt. Vicky ist sehr resolut und ausgesprochen humorvoll. Die Stimmung heute ist DEUTLICH besser als gestern. Es besteht sogar eine Möglichkeit, daß wir heute fertig werden. Wie war das doch gleich: »A good director brings it home on time and under budget«… Naja, wenigstens die erste Anforderung könnte klappen…

11 p.m.
Geschafft. Vor einer Stunde fiel die letzte Klappe (netter Ausdruck in der hiesigen Filmszene dafür: »We did the getaway«…). Große Erleichterung auf allen Seiten. Wir haben es hinter uns. Ein weiterer Tag wäre auch nicht „drin“ gewesen. Das hat mich – und somit auch das ganze Team – ziemlich auf Trab gehalten. Fast eine Stunde belichtetes Material in zwei Tagen… Die Stimmung ist gut, alle sind erleichtert; Dick klopft mir auf die Schulter, nachdem er seine »Greenbacks« eingestrichen hat, und meint: »…wird ein guter Film.«. Alles was ich jetzt brauche, sind achtzehn Stunden zum Durchschlafen… Aber morgen fängt ja Sergio seinen Film an … und dann Kee-Hwan… und Andy…

Kee-Hwan, Sergio und Andy hatten mir bei meinem Dreh geholfen, deswegen war es Ehrensache, dass ich auch ihnen half. Bei einem Dreh war ich sogar als Kameramann vorgesehen, Kee-Hwans Eltern lebten in Upstate New York, und dort filmten wir zwei Tage. Diese weiteren sechs Tage Dreh bedeuteten aber, dass ich erst am 3. November wieder Vollzeit an meinem Film arbeiten konnte. Vor meinem Abflug am 9. November wollte ich den kompletten Schnitt an den Moviolas der NYFA schaffen und ließ mir dafür Nachtschichten geben, wenn niemand sonst Bedarf hatte.

7.11.
62 Stunden am Schneidetisch innerhalb von vier Tagen liegen hinter mir. Erstaunlich, was alles an Reserven noch in mir drinsteckt… Der erste Schnitt ist fertig, jetzt müssen die sogenannten »mounted« Tracks noch angelegt werden. Jochims Musik paßt genial zu den Bildern – als hätte er sie eben erst geschrieben. Alexa, Michael und Dick haben mich je einmal bei meinen vornehmlich nächtlichen Sitzungen besucht. Ich arbeite fieberhaft, denn alles, was ich hier in New York vor meinem Rückflug übermorgen noch schaffe, senkt mein Gesamtbudget. Ich ahne Fürchterliches, wenn ich nachhause komme und auf meine Schulden blicke.

8.11.
Ja, ja, es wird klappen! Mit Alexa und Michael war ich gestern noch bei Ross Gaffney im Studio und habe die Folies und die Dialoge aufgenommen. Nach 3½ Stunden im Studio und 1½ Stunden in der Mischung bin ich fertig – und pleite. Das war’s, für weiteres reicht es DEFINITIV nicht mehr…


Die Premiere war für den 11. November im Kino des Tribeca-Centers angesetzt. Um das Abschlusszeugnis zu bekommen, mussten Studenten bei einer der NYFA-Premieren einen Film zur Abnahme vorführen. Leider sollte mein Flieger zurück schon am 9.11. abends New York verlassen. Das konnte ich nicht verschieben, der Semesterbeginn in München wartete. Ich musste packen, und die Premiere würde ohne mich stattfinden.

Und so saß ich k.o., erfüllt aber mit schlechtem Gewissen wegen des Budgets, im Flugzeug zurück über den Atlantik. Im Gepäck hatte ich tatsächlich einen 16mm-Kurzfilm. Naja, eigentlich nicht wirklich. Die Schnittkopie war noch in New York im Kino, und ich hatte nur (noch ungeschnittenes) Negativmaterial dabei.

Und wie es damit weiterging, davon berichte ich in Teil 3. Der geht am 10. November online.

Gebt es weiter -- das Beste im Netz!