Wow … heute ist es tatsächlich drei Jahrzehnte her, dass ich in New York eintraf, um das Filmemachen zu lernen.

Bis heute sehe ich die gut neun Wochen im Big Apple als eine der prägendsten Erfahrungen meines professionellen Lebens an — Zeit und Grund dafür, dass ich das mal etwas näher beleuchte.

Am 7. September 1994 war ich am Flughafen JFK eingetroffen. Ich sehe mich noch im Taxi in die Innenstadt sitzen, erfüllt von einem Gefühl ungewisser Spannung und adrenalingedämpfter Angst. Endlich würde das passieren, was ich mir gewünscht hatte, seit ich mich mit 11 von zuhause weggestohlen hatte, um einen mir verbotenen Film im Residenz-Kino in Mainz anzusehen. Danach stand fest, ich wollte Filmemacher werden.


1994 studierte ich Theaterwissenschaft und Journalistik in München. 1991 und 1992 hatte ich mich für die Regieklasse der Münchener HFF beworben. Jede Bewerbung hatte mich gut ein Vierteljahr Arbeit gekostet. 1991 war ich gleich in der Vorauswahl rausgeflogen, im Jahr darauf schaffte ich es unter die letzten 30, aber ich wurde dann nach der Live-Prüfung zu meiner großen Enttäuschung wieder abgelehnt. Im Nachgespräch hatte mir einer der Professoren im Nachgespräch nahegelegt, ich solle mich doch nicht in der Regie-, sondern in der Produzentenklasse bewerben. Im Frühjahr 1994 war ich diesem Vorschlag tatsächlich gefolgt und wiederum eine Bewerbung eingereicht, aber wieder war ich in der engeren Auswahl abgelehnt worden. Der Grund diesmal: „ich sei schon zu weit in meiner Entwicklung, die HFF suche stärker formbare Talente“.

Alles Augenwischerei für eine bedauerliche Tatsache — die mochten mich nicht.

An dieser Stelle war ich nahe dran, meinen Traum aufzugeben.Doch dann entdeckte ich eine Anzeige in der „Cinema“: die relativ neu gegründete Filmschule „New York Film Academy“ warb um Studenten. Warum? Die wollten Geld verdienen, der 8-Wochen-„Total Immersion“-Kurs kostete an die 5000 US-Dollar. Anders als in einem regulären Studium in Europa, das auch viel Theorie beinhaltet, solle es hier hauptsächlich um „hands-on filmmaking“ gehen. Innerhalb der acht Wochen sei garantiert, dass jede/r Student/in mit drei Übungsfilmen und einem Abschlussfilm nach Hause reisen würde, gedreht auf 16mm-Filmkameras.

Doch, so etwas gab es mal.

Natürlich hatte ich viel zu wenig Geld für so etwas. In meiner Verzweiflung Entschlossenheit, um keinen Preis meinen Traum von der Regie aufzugeben, organisierte ich mir ein Darlehen für Flug und Studiengebühren. Viel zu wenig Geld, wie ich kurz darauf herausfinden sollte. Aber etwas trieb mich an: ich wollte das Handwerk lernen und die Chance haben, für meine Zukunft als Filmemacher professionelle Talentproben zu haben.


Die Filmschule war damals am Union Square. Meine erste Unterkunft einige Blocks entfernt war das McBurney YMCA in der 23. Straße, schräg gegenüber vom Chelsea-Hotel. Die hatten ein „Studentenzimmer“ im Angebot, das ich noch aus Deutschland buchen konnte, für $117.-/Woche — im ersten Stock. Auch kein direkt *billiges* Zimmer, aber das Günstigste, das ich gefunden hatte. „Erster Stock“ war aber das Schlüsselwort: „erster Stock“ hieß „direkt über der Küche“ und „über der Küche“ hieß „Kakerlaken“. Und deswegen war das so preiswert gewesen. Kaum war abends das Licht aus, fing es hinter den Tapeten überall an, zu rascheln.

Puh! Ich ging noch in der ersten Nacht zur Rezeption und forderte ein anderes Zimmer. Ich bekam eins, aber nur für gut $150.-/Woche mehr, im 8. Stock. Eine wichtige Lektion für NYC-Besucher, die in Altbauten übernachten wollen — je höher das Stockwerk, desto weniger Kakerlaken. Schritt für Schritt sollte ich lernen: New York ist teuer. Sehr teuer.

Aber das beirrte mich (vorläufig) nicht. Am nächsten Morgen war ich wenig ausgeschlafen, aber voller Energie, und machte mich zu Fuß auf den Weg zur 14. Straße am Union Square.

Dieser gepunktete Linie war ab dann für die nächsten Wochen mein „Schulweg“: vorbei am „Bügeleisen-Hochhaus“ und den Broadway entlang.

Das Gebäude selbst war recht beeindruckend. Kurz vor Beginn des Kurses war die NYFA in das „Tammany Hall Building“ am Union Square umgezogen:

NYFA am Union Square

Der Kurs, dem ich zugeteilt war, setzte sich aus gut 20 Studentinnen und Studenten zusammen. Die meisten waren US-Bürger, aber auch einige „Externe“ aus Europa und Asien waren dabei. Ich erinnere mich an Claudio Corbucci, einen Neffen von Sergio. Diese „Berühmtheit“ gab mir Zuversicht, dass der Workshop, den ich mir da ausgesucht hatte, bereits einen Ruf in der Filmbranche hatte.

Montag bis Freitag wurden wir nun ausgebildet, sechs bis acht Stunden pro Tag:

  • Kamera-Workshops,
  • wie man eine Produktion aufzieht und das Budget im Auge behält,
  • Tipps zum Drehbuchschreiben,
  • Beleuchtung, Filmschnitt und Ton.

An den Wochenenden war Drehzeit: Wir hatten uns zu Teams à vier Personen zusammen zu finden, denn alle sollten in rotierenden Positionen bei den Übungsfilmen der anderen mitwirken. Die Jobs neben der Regie waren Kamera, Ton und Beleuchtung. Ein sehr effektives Konzept, denn so konnte jede/r der Teilnehmenden Erfahrungen an entscheidenen Positionen in Form von insgesamt 16 (!) Drehs innerhalb der acht Wochen machen — Filmemachertraining in hochkondensierter Form. Mal war ich also Beleuchter, mal Kameramann, mal kümmerte ich mich um den Kamerawagen oder um den Ton. Jeden Freitag bekam jedes 4er Team zusammen 1x Equipment: eine 16mm-Kamera, ein Stativ, drei Beleuchtungslampen und ein Set Filter. Den Film, 16mm b/w Reversal, sollten wir, jede/r Student/in für sich, in einem der vielen Supply Stores kaufen.

Gerade sehe ich, dass die 3-Minuten-Filmrolle Tri-X, die damals 13$ kostete, heute für das Vierfache über die Theke geht. Puh!

Inhaltlich waren wir frei, für die Form bekamen wir Vorgaben. An den ersten Übungsfilm, den wir gleich am ersten Wochenende drehen sollten, habe ich keine Erinnerung mehr. Es waren glaube ich einfache Übungen für Bildaufbau und Schnitt. Der zweite, eine Woche später, hatte klare Bedingungen:

  • eine abgeschlossene Geschichte,
  • bis zu drei Minuten Laufzeit,
  • kein Dialog im Ton,
  • keine Sprünge in Raum oder Zeit.

Eine Geschichte dafür hatte ich mir unter der Woche ausgedacht, und ich versprach mir viel von der Pointe. Ich organisierte mir eine Rolle schwarzen Molton als Tischdecke und kaufte ein Set Spielkarten. Als Schauspieler für meinen Film rekrutierte ich kurzerhand zwei meiner Teamkameraden, da der Film ohnehin keine Gaffers oder Grips brauchte. Die beiden wohnten praktischerweise zusammen in der Lower East in einem gemieteten 2-Zi-Apartment mit einer  Wohnküche, und die wurde kurzerhand auch mein Drehort.

Wenn an einem Wochenende vier Filme gedreht werden sollten, stand jedem Team maximal vier Stunden Drehzeit zu. Damit das funktionierte, musste ich die Shots gut planen. Nur die eine Seite der Sichtachse zwischen den Spielern durfte sichtbar sein, jedenfalls bis zu dem Moment, an dem sie aufstehen. Das war wichtig für die Überraschung am Schluss.

Wichtig für alle, die Baccarat nicht kennen: Spieler erhalten zwei Karten verdeckt. Ziel ist es, möglichst nah an die 9 zu kommen. Bilder zählen nichts, d.h. die zwei Königinnen, die der zweite Spieler einsieht, sind nichts wert. Jeder darf eine zusätzliche Karte anfordern. Der mit der 8 lehnt natürlich ab, der andere hat keine Wahl — und dann hat er Glück.

Und das hier war das Ergebnis (Mausklick öffnet ein Filmfenster):

War mein erster Übungsfilm noch als „etwas unverständlich“ kritisiert worden, bekam ich bei der Vorführung von den Tutoren und anderen für „La Mise“ viel Lob, vermutlich wegen der Pointe. Alle erwarteten einen Western-Showdown, als die beiden nach dem Spiel von ihren Stühlen aufstanden …

Eine Woche später sollten wir als dritte Übung einen Film zu einer vorgefertigten Tonspur drehen und schneiden. Ich entschied mich für das Modell eines Videoclips mit Geschichte: ein blinder Mann verfolgt eine junge Frau durch die Stadt. Ist es ihr Duft, der ihn anzieht? Am Ende will er ihr Gesicht nur einmal mit seinen Fingern „sehen“. Als Soundtrack hatte ich mir „N.Y.C.“ von Bryan Ferry ausgesucht.

Noch während des Schnitts für den Videoclip begann ich mit dem Casting für meinen Abschlussfilm. Die Tutoren der NYFA empfahlen uns Studenten, zu diesem Zweck eine Anzeige im Branchenblatt „Backstage“ zu schalten: viele Schauspieler seien bereit, zum Nulltarif zu arbeiten, solange sie Belegexemplare und Verpflegung am Set bekämen. Ich konnte das zwar kaum glauben, aber folgte dem Ratschlag, denn in der Kartei der Schule hatte ich keine passenden Gesichter gefunden.

Gleichzeitig begann ich mit der Suche nach einem DOP von außerhalb der Schule. Den würde ich bezahlen müssen. Obwohl ich wusste, dass ich mit der erwarteten Budgetüberschreitung nicht nur mich in die Bredouille bringen würde.

Dazu dann mehr in Teil 2 ab dem 3. Oktober.

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