In den USA ist Brutalität bei Weitem nicht so wichtig für die Jugendfreigabe wie „Language“ (also fluchen) oder Sexualität. Altersfreigaben sind ja international unterschiedlich entstanden und nicht direkt kompatibel. FSK12 in Deutschland heißt durchaus, dass ein/e Zwölfjährige/r sich den Film alleine im Kino anschauen darf, während in Übersee das PG-13 durch das vorgeschobene „Parental Guidance“ bedeutet, dass die 13jährigen ein Elternteil dabeihaben sollten. Auch die Kriterien sind sehr unterschiedlich und nicht miteinander vereinbar; und hier wird der Unterschied zwischen dem „Alten Europa“ und der „Neuen Welt“ am Deutlichsten.

Ein Beispiel:

Krzysztof Kieslowskis Film „Drei Farben Rot“ (1994) ist ein sensibel inszenierter Arthouse-Film. In den USA trägt er die Altersfreigabe „R“, das heißt „Restricted“ („Under 17 requires an accompanying parent or adult guardian“). Warum, fragt sich der Europäer? Weder wird in diesem Film geflucht, noch werden Menschen geköpft, und der Film behandelt auch kein Thema von besonderer seelischer Grausamkeit.

Der Grund: eine Bildeinstellung von drei Sekunden zeigt ein Paar beim Geschlechtsverkehr. Was sieht man?

Achtung: Mouseover nicht ganz bürosicher …

Auch eine eher „zivil“ zu nennende Darstellung sexueller Handlungen (die Szene ändert während der drei Sekunden weder den Bildausschnitt, noch bekommt man „mehr“ zu sehen) reicht für die MPAA vollkommen aus, den Film nur einem erwachsenen Publikum zumuten zu dürfen. In Europa ist man die Prüderie der Amerikaner, was diese Dinge angeht, durchaus gewohnt, schüttelt milde lächelnd das Haupt, und da „Drei Farben: Rot“ ohnehin eher an ein erwachsenes Publikum gerichtet war, wird dem dreifach oscarnominierten Film kein größerer Publikumsverlust durch die Begrenzung entstanden sein.

Bevor sich das deutschsprachige Publikum wegen größerer Liberalität hierzulande zu lange auf die Schulter klopft: in Deutschland hat man sich bei exakt diesem Film ein ganz anderes Ei gelegt.

Die FSK gewährte diesem Film 1994 das Siegel „FSK 6“, was in doppelter Hinsicht absurd ist. Zum einen ist die Sexszene dann doch *etwas* zu viel für Sechsjährige, und ob ein Kind den Film als Ganzes überhaupt versteht, ist die nächste Frage … aber schwerer wiegt wohl, dass der Film alles andere als ein Kinderfilm ist — und genau diese Eigenschaft erwartet der deutsche Kinozuschauer, wenn er die 6 im gelben Quadrat sieht. Hier kann ich mir in der Tat vorstellen, dass der eine oder andere Zuschauer mit einem quengelnden und gelangweilten Achtjährigen an der Hand aus dem Kino gekommen ist.

Das zweite Beispiel: weitaus größere Toleranz weist die MPAA bei physischer Brutalität auf. Auf besagter MPAA-Seite habe ich gelesen, dass der Verleih des Stallone/van Damme/Schwarzenegger-Teamkrachers „The Expendables 2“ das PG-13-Siegel beantragt hat. Blogger Torsten Dewi dazu:

… es wird ja nicht geflucht und keine Lady lupft das Oberteil. Dafür werden allerdings Hunderte Lakaien auf das (cgi-)blutigste geschlachtet, Köpfe platzen, Körper fliegen im Dutzend zerfetzt über die Leinwand. Für US-Kids ist das anscheinend okay. Kann man ja auch prima die Kleinen in ein Mitternachts-Screening für schleppen.

Wortvogel

Den Film habe ich noch nicht gesehen, aber es ist nicht anzunehmen, dass er nennenswert „milder“ ausfällt als der erste Film. Neugierig schaute ich auf die FSK-Seite und war etwas mit den hiesigen Wächtern versöhnt: „The Expendables 2“ wird in Deutschland mit dem roten Quadrat versehen.

Eine rein europäische Perspektive mag versuchen, einen für uns naheliegenden Zusammenhang herzustellen zwischen diesen Prioritäten, ergebnislosen Diskussionen zu Waffengesetzen und gewissen Massakern in Mitternachtspremieren von Batman-Filmen. Aber US-Amerikanern die grundsätzliche Schieflage verständlich zu machen, wird wohl auch in Zukunft scheitern.

Und so wird es in den Kinos dort auch weiterhin verpönt sein, jemandem dabei zuzusehen, wie er (oder sie) eine weibliche Brust küsst. Aber junge Amerikaner dürfen auch weiterhin frühzeitig genug mitbekommen, wie es aussieht, wenn man eine abschneidet.